Seit 2017 hat der Verein Unter Wasser fliegen e. V. insgesamt vier künstlerische Projekte mit jungen, mehrheitlich aus Afghanistan geflüchteten Menschen realisiert. Die meisten von ihnen mussten ihre Heimat unbegleitet und noch minderjährig verlassen, wurden hier im Bergischen Städtedreieck zunächst in Flüchtlingseinrichtungen und Wohngruppen untergebracht, haben die Schule besucht oder eine Ausbildung angefangen und mit ihrer Volljährigkeit ein Leben auf eigenen Füßen in einer eigenen Wohnung meistern müssen. Die Arbeitsprozesse der vier Projekte dauerten jeweils fast ein Jahr und beschäftigten sich inhaltlich und thematisch mit den einzelnen Lebensabschnitten, den Erfahrungen und der Geschichte der jungen Menschen auf dem Weg in eine neue, für sie fremde Kultur.

Mit dieser Webseite wollen wir die von ihnen geschaffenen Kunstwerke (Videos, Interviews, Bilder, Kollagen, Lyrik, Sounds, Texte, Fotografien) digital erlebbar machen, ergänzt durch Projektdokumentationen und aktuelle Statements. Sie zeigen die Auseinandersetzung der jungen Menschen mit ihrem Schicksal, ihrer Geschichte und ihrer neuen Lebenssituation.

Entstanden ist eine interaktive, überraschende, unmittelbar erlebbare Online-Version, der es gelingt, die Besucher*innen zu unsichtbaren Orten zu führen, an die jede und jeder kommen und wieder gehen, an denen Bekanntes und Überraschendes entdeckt werden kann und Begegnung möglich wird. Es gibt Gelegenheit zu Interaktionen, Kommentaren und Fragen. Auf Wunsch bieten wir auch im Kontakt zu den beteiligten Jugendlichen eine Live-Präsentation bzw. Führung durch die Online-Installation an. Ein beeindruckendes virtuelles Angebot, das jederzeit aktualisiert und erweitert werden kann.
Zu den Projekten:

UN­SICHTBARE ORTE

Visuelle Botschaften von hier und anderswo von und mit jungen Menschen zwischen zwei Welten

„Weil das Leben ein Geschenk ist …“

Das erste Projekt „Weil das Leben ein Geschenk ist …“ drehte sich hauptsächlich um die Fluchtgeschichte und das Ankommen in der neuen Welt. In verschiedenen Kreativworkshops wie Fotografie, Video, Kreatives Schreiben, Biographiearbeit, haben sich die Teilnehmenden künstlerisch in einer ihnen bis dahin gänzlich unbekannten Kulturtechnik mit ihrem Schicksal, ihren Wünschen und ihren Träumen auseinandergesetzt. Die Ergebnisse der Arbeit wurden im Januar 2018 als Multimedia-Installation und Ausstellung im LVR Industriemuseum Solingen und im März 2018 im Rahmen des Magdalena Festivals im Pathos Theater im Kreativquartier der Stadt München gezeigt. Bei geführten Besuchen standen die Teilnehmenden gerne als „Lebendige Bücher“ für Publikumsgespräche zur Verfügung.

Botschaften nach draußen? Mit welchen Bildern, Tönen, Worten?

„KISMET – WEIT WEG ZUHAUSE“

In dem zweiten Projekt „KISMET – WEIT WEG ZUHAUSE“ beschäftigten sich die Jugendlichen mit dem Thema der Volljährigkeit, ihrem Weg in die Selbstständigkeit und gleichzeitig hin zur Verantwortung für ihr eigenes Leben. Der Titel, den sie selbst ausgewählt haben, lädt zu vielen Interpretationen ein: Zuhause ist weit weg … Weit weg habe ich ein neues Zuhause … Es war ein weiter Weg ins neue Zuhause … Und es ist auch manchmal ein weiter Weg, sich im neuen Leben zuhause zu fühlen. Um viele dieser Gedanken rankten sich die Beiträge der Ausstellung. Die jungen Menschen, die sie gestaltet haben, erzählen viel über ihre Gefühle, ihre Hoffnungen, ihren Weg und ihre Perspektiven. Ihre Narrative benutzen ganz unterschiedlichen Formen von Kunst und Kultur: Projektionen, Worte, Bilder, Musik … und damit weben sie einen kunstvollen Teppich aus vielen Mustern und Farben, beeindruckend und faszinierend zugleich. Die Multimedia-Installation mit den Arbeitsergebnissen wurde im Dezember 2018 im Lichthof des Rathauses in Wuppertal-Barmen, im Juli 2019 auf Einladung des Oberbürgermeisters im Rathaus der Stadt Solingen und im August 2019 im Rahmen des 31. Laboratorio Internazionale „Gli Opposti“ des Teatro delle Radici in Lugano/Schweiz gezeigt.

„Kismet bedeutet, dass wir nur auf den Wellen des Lebens getrieben werden – mal an diesen, mal an jenen Ort.“

(Mehmet Gürcan Daimagüler)

„Wer bin ich? – Selbstbildnisse und Visionen“

Im Rahmen des dritten Projektes „Wer bin ich? – Selbstbildnisse und Visionen“ haben sich die jungen Menschen im Bereich Bildender Kunst mit ihrer Identität und ihrer Integration in die neue Heimat auseinandergesetzt. Die Werkstätten fanden in Zusammenarbeit mit Künstler*innen statt, die unterschiedliche Schwerpunkte in ihrem Schaffen aufweisen: Zeichnen, Graffiti, Stencil, StyleWriting, Kalligrafie, Malerei, LichtBildSkulpturen …
Entstanden sind großformatige Arbeiten auf Leinwand, Stoffbannern, Papier und Kunststoffplanen sowie Outdoor-Arbeiten an Mauern und auf Holzwänden. Die Kunstwerke waren als Werkschau im November 2019 in den Räumen der Kunsthalle in Wuppertal-Barmen zu sehen. Geführte Besuche von Schulklassen und Gruppen waren nach vorheriger Anmeldung möglich und wurden durch die Teilnehmenden moderiert.

Das Gewesene trage ich immer in mir.

„MURALES (Wandbilder)“

Im letzten Projekt „MURALES (Wandbilder)“ haben die inzwischen jungen Erwachsenen den Blick auf ihre Visionen zu Gegenwart und Zukunft gerichtet. Wer bin ich? Welche Träume habe ich für mein Leben? Welche Visionen für die Zukunft? Über solche Fragen denkt wohl jede und jeder nach. Identität als universelles Thema betrifft uns alle, die Antworten selbst jedoch sind immer etwas sehr Persönliches. Indem die Teilnehmenden der drei Teams in einem kollektiven Prozess Wandbilder und Graffitis an Gebäuden und Mauern in Remscheid (HIMMEL & HÖLLE), Solingen (SEIFENBLASEN – UTOPIE) und Wuppertal (WIR SCHAFFEN DAS ZUSAMMEN) entstehen ließen, gewährten sie Einblicke in ihr Leben, ihre Hoffnungen und Visionen. Im September 2020 haben sie ihre gemeinschaftlichen Entwürfe an den drei Standorten realisiert und mit interaktiven Lichtprojektionen im öffentlichen Raum dem Publikum präsentiert.

„BRÜCKENBAUER“

Das 2021 zum Abschluss der Reihe geplante Projekt „BRÜCKENBAUER“, eine Zusammenarbeit mit Künstler*innen des afghanischen Street-Art-Kollektivs ArtLords, konnte leider nicht realisiert werden. Wir hatten die beiden Gründer des Kollektivs, Omaid Sharifi und Kabir Mokamel, eingeladen, zeitgleich im Bergischen Städtedreieck und in Afghanistan Wandmalaktionen mit jungen Menschen zum Thema „Mensch ist Mensch“ zu planen und durchzuführen. Dieser Baustein sollte für die jetzt hier lebenden jungen Afghanen und Afghaninnen durch die gemeinsame kreative Arbeit mit jungen Menschen in der ehemaligen Heimat eine (Wieder-)Begegnung im positiven Sinne ermöglichen. Doch mit dem Abzug der USA und der alliierten Streitkräfte aus Afghanistan im August 2021 und der Machtübernahme der radikalislamistischen Taliban ist nichts mehr so, wie es war. Wie Seifenblasen sind alle Pläne und Zukunftsträume zerplatzt.